EROTIK IM MITTELALTER

Die Liebesfreuden im Mittelalter umfassen Liebesschmerz, Eifersucht, Enttäuschung oder Verzweiflung, aber auch die Verzerrung ins Obszöne. Es ist unmöglich, für das Mittelalter eine eindeutige Haltung zu Erotik und Sexualität auszumachen, was auf die Widersprüchlichkeit der Quellen zurückzuführen ist. Dieser ambivalente Befund findet sich bereits im Alten Testament vorgeprägt.
Der Widerspruch zwischen auf Keuschheit ausgerichteter Spiritualität und der Allgegenwart der fleischlichen Genüsse wird in der Geschichte um Bathseba und König David exemplarisch thematisiert.


Meister des Flavius Josephus: David und Bathseba (2. Samuel 11,2);
Miniatur des um 1510 entstandenen Pariser Petau-Stundenbuchs
König David blickt voller Begierde auf die sich badende Bathseba

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König David begehrt die verheiratete Bathseba. Sie wird zu seiner Geliebten. Durch einen hinterhältigen Plan schickt David Bathsebas Ehemann Uria in den Tod. Als Strafe Gottes muss das Kind, das Bathseba von David empfangen hat, sterben. Doch nach solcher Buße und schließlichem Trost nimmt Gott den König und Bathseba wieder an. Aus der Verbindung Davids mit der verheirateten Bathseba wird Salomon entstammen.

Das Mittelalter wird bestimmt durch zwei gegensätzliche "Kulturen": die Leibfeindlichkeit der Kirche einerseits und die höfische Sinneslust andererseits.
In seiner Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland berichtet Heinrich Heine von einer Begebenheit, die sich im Mai 1433 zur Zeit des Basler Konzils abgespielt haben soll. Gemeint ist damit die Erzählung von der Baseler Nachtigal. Eine Gruppe Geistlicher macht einen Spaziergang durch einen Wald. Als sie über theologische Fragen diskutieren, kommen sie an einem Lindenbaum vorbei, auf dem eine Nachtigall singt. Sie bleiben stehen und lauschen verzückt dem wunderbaren Gesang. Doch plötzlich äußert einer der Geistlichen den Verdacht, "dass solches nicht mit rechten Dingen zugehe, dass diese Nachtigall wohl ein Teufel sein könne, dass dieser Teufel sie mit seinen holdseligen Lauten von ihren christlichen Gesprächen abziehen und zu Wollust und sonstig süßen Sünden verlocken wolle". Um den Fluch abzuwenden, wird exorziert, und noch während der Beschwörung fliegt der Vogel weg, nachdem er seine wahre Identität als böser Geist preisgegeben hat. Das Ende der Erzählung
besagt, dass jene, die dem Gesang des Vogels lauschten, noch am gleichen Tag erkrankten und bald darauf ihr Leben ließen.

 

 

Die Tötung der Libido durch die Pudicitia; Seite aus einer Handschrift der Psychomachia des Prudentius aus dem 10. Jahrhundert. Das Mittelalter brachte zahlreiche Bilder hervor, die den blutrünstigen Kampf zwischen Tugenden und Lastern zeigen. Die Kirche wollte unter der Anwendung von Gewalt ihren moralischen Herrschaftsanspruch durchsetzen.

 

Die Leibfeindlichkeit der Kirche, die auf die paulinische Tradition zurückgeht, äußerte sich u. a. darin, dass sie die körperliche Liebe, die als Unkeuschheit oder Unzucht bezeichnet wurde, als Todsünde betrachtete. Die körperliche Vereinigung wurde nur zur Zeugung von Nachkommenschaft geduldet.

 

 

Danziger Meister, Die zehn Gebote, 15. Jahrhundert, Ausschnitt mit der Darstellung des sechsten Gebots ("Du salt nicht unkeuschen"). Die Anwesenheit des Teufels in dieser Szene steht als Zeichen für die Verfehlungen, die hier begangen werden.

  

Es ist bemerkenswert, dass nicht nur die Sexualität als fleischlicher Genuss, sondern auch die Völlerei als eine Sünde galt. Sie verursachte nach Auffassung der Kirche ebenso eine Trübung der Seele.

 

 

 

Antwerpener Meister, Das Jüngste Gericht mit den Sieben Werken der Barmherzigkeit und den sieben Todsünden, um 1500

Die höfische Sinneslust findet unter anderem in der Minne ihre Entsprechung. Die Minne muss verstanden werden als höfisches Spiel. Dabei war nicht die Absicht verbunden, die Angebetete zur körperlichen Liebe zu bewegen. Die Frau als Lehensherrin stand dem Mann als ihrem Vasallen gegenüber, der nach kunstvoller und bestimmten gesellschaftlichen Regeln folgender Werbung ihre Gunst erringen konnte. Der Triebverzicht galt als Voraussetzung und bildete eine Konstante. Da körperliche Vereinigung in aller Regel nicht stattfand, entstand eine Erotik des Schauens, der Sprache und der kleinen Berührungen. Die sittliche Vervollkommnung des Mannes war eine wichtige Aufgabe der Minne. Seit dem 15. Jahrhundert ist ein stetiger Verfall der Befolgung der strengen Minneregeln bemerkbar. Der spielerische Umgang mit der Minne und ein Hang zum Derben kennzeichnen diese Entwicklung.

 

 

Wandteppich mit der Darstellung erotischer Gesellschaftsspiele, spätes 14. Jahrhundert. Frau Königin Minne ist von ihrem Thron gestiegen, um über die Einhaltung der Regeln zu wachen. Die linke Seite dieses Wandteppichs zeigt ein solches Minnegericht.

 

Auch die Menschen im Mittelalter kannten das Gefühl unerwiderter Liebe und suchten deshalb nach Möglichkeiten, die angebetete Person umzustimmen oder selbst vom Bann der Liebe befreit zu werden.

 

 

Meister Casper von Regensburg, Frau Venus und der Verliebte, um 1485.
Dieses Bild zeigt, welchen Martern das liebende Herz ausgesetzt sein kann.

 

 

Es wird von Liebestränken berichtet, die von Hexen aus den unterschiedlichsten Ingredienzien wie Haaren, Fingernägeln, Teilen der Kleidung, Menstruationsblut sowie tierischen und pflanzlichen Zutaten wie Alraune und Mandragora gebraut wurden. Überliefert ist ein Rezept für ein Liebespulver aus dem Buch der Geheimnisse. Bei den dabei verwendeten Mistelbeeren handelt es sich um hochgiftige Früchte:

"Nimm die Blüten und Samen der Elecampane, Eisenkraut und ein paar Beeren vom Mistelstrauch. Sodann zerreibe die im Ofen getrockneten Pflanzen zu einem feinen Pulver. Reiche es dem Auserwählten in einem Glas voll Wein. Bald wird das Schicksal zu deinen Gunsten sich wenden."

Bekannt war auch der Bildzauber mit einer Wachspuppe. Dabei wurde eine Puppe oder nur ein Herz aus Wachs geformt und in der Sonne oder am Feuer zum Schmelzen gebracht. Das Liebesverlangen sollte auf diese Weise entfacht werden. Neben diesen Mitteln, die die Liebe befördern sollten, gab es die Maßnahmen, sich selbst vom Liebeszauber zu befreien. Ohne dass der vom Liebeswahn Betroffene es wusste, wurde Kot der geliebten Person in den rechten Schuh gelegt. Wenn der Liebende den Schuh anzog, war die Liebesraserei verschwunden. Ebenso half mäßiges Essen und Trinken. Ovid, der mit seiner Liebesdichtung nachhaltig auf das Mittelalter wirkte, war der Auffassung, dass Liebesgetränke oder magische Praktiken nicht nötig seien, um die Liebe einer Frau zu gewinnen. Ans Ziel führe die Erzeugung von Eifersucht. Man müsse die Eitelkeit einer Frau durch das Umschmeicheln einer anderen erschüttern, wobei der dadurch hervorgerufene Schmerz nur durch die Freuden des Bettes gestillt werden könnten. Das Glück der Eroberung werde dadurch vollkommen.

Die Verführung durch die Frau gilt als elementare Gefährdung des männlichen Geschlechts. Schon die Bibel gibt Hinweise auf die Macht der Frauen im positiven wie im negativen Sinn. Einerseits zeigen diese biblischen Geschichten die Verderbtheit und natürliche Schwäche der Frau, was einhergeht mit der weiblichen Unterlegenheit. Andererseits wird die Macht ihrer Verführungskünste in einen geradezu moralischen Kontext gerückt. Dies trifft etwa auf Judith zu, die ihre Stadt rettet, indem sie den gegnerischen Feldherrn Holofernes verführt. Ihre Reize ausspielend, macht sie ihn trunken und enthauptet den Wehrlosen. Im Mittelalter galt Judith als der Inbegriff der tugendhaften und tapferen Frau.

 

 

Meister von Berrys Cleres: Judith und Holofernes, um 1410. Judith steht neben dem Bett des Holofernes, während sie eine Dienerin den Mord begehen lässt.

 

Eine negative Umdeutung der Weibermacht findet sich in der erotischen Konstellation zwischen Phyllis und Aristoteles. Phyllis empört sich über die Rede des Philosophen gegen die Prostitution. Die Hetäre betört ihn und zwingt ihn schließlich, sie auf seinem Rücken zu tragen. Die Sinnlichkeit und Verführungskraft des Weiblichen dominiert gegenüber dem männlichen Metaphysiker.

 

 

Lucas van Leyden, Aristoteles und Phyllis, um 1520. Der Gelehrte unterliegt der Hetäre. Durch den Akt des Reitens auf ihm macht sich Aristoteles zum Lasttier, zum Esel.

 

Die Macht der Frauen findet sich oft im Kontext der Pfaffenschelte thematisiert. Dabei wird die ungebremste Geschlechtslust des Klerus zur Zielscheibe. Mit bissigem Beiklang wird die weibliche Verführungskunst beschrieben, die bei den Geistlichen auf geringen Widerstand stößt.

 

 

Jeanne und Richart de Montbaston, Mönch am Bandel, zwischen 1348 und 1353. Der Mönch wird von einer Nonne an seinem Geschlechtsteil geführt. Persifliert wird dabei der Minnestrick, mit dem der Liebhaber an die von ihm verehrte Dame allegorisch gebunden wird.

 

Ein Geistlicher, der wenigstens versucht, dem weiblichen Reiz zu widerstehen, ihm aber dennoch unterliegt, taucht in der Geschichte Alibech und Rustico aus Boccaccios Decameron auf.

 

Die Geschichte von Alibech und Rustico, Holzschnitt der italienischen Ausgabe von 1492. Das Bild zeigt einen erigierten Penis, was in mittelalterlichen Darstellungen eine Seltenheit ist.

 

In der zehnten Novelle des dritten Tages zieht die junge und naive Alibech zu den Einsiedlern in die Wüste von Theben, um von ihnen den richtigen Gottesdienst zu lernen. Der besonders gottesfürchtige Rustico nimmt sich nach anfänglichen Bedenken ihrer an. Trotz des Vorsatzes der absoluten Keuschheit ist es schon bald um ihn geschehen. Unter dem Vorwand, einen Gottesdienst zu zelebrieren, bittet er sie, sich nackt auszuziehen. Alibech kommt seiner Aufforderung nach und bemerkt dabei seine Erektion, die er als die Anwesenheit des Teufels erklärt. Dieser muss natürlich ausgetrieben werden, und im Laufe der Zeit findet das Mädchen Gefallen an dem Spiel, so dass sie nicht mehr aufhören kann, "den Teufel in die Hölle" zu schicken. Der ausgemergelte Rustico ist schließlich sehr erleichtert, als Alibech einen heiratswilligen Jüngling findet und er damit seiner Pflicht des Teufel-Austreibens entbunden ist. Seit der Antike gilt die Regel, dass der Mann als der aktive Part der Werbung auftreten muss. Doch gibt es auch Beispiele, in denen diese Regel nicht befolgt wird. Ebenfalls aus Boccaccios "Decameron" stammt die Geschichte von der jungen Frau des französischen Kronprinzen, die sich in den Grafen Gualtieri von Antwerpen verliebt. Sie bittet den Graf in ihr Gemach, um ihm näher zu kommen. Als dieser nicht auf ihren Verführungsversuch reagiert, zerrauft sie sich ihr Haar und zerreißt sich ihr Kleid. Ihre Rache besteht nun darin, dass sie um Hilfe ruft, um den Eindruck zu erwecken, der Graf wäre gegen ihren Willen zudringlich geworden. So straft sie ihn dafür, dass er nicht zudringlich geworden ist.

 

 

Meister der Citö des Dames, Die Geschichte vom Grafen Gualtieri von Antwerpen, aus der Handschrift der französischen Übersetzung von Laurent de Premierfair, 1415-19. Das Bild zeigt den Augenblick, in dem sich die junge Frau des französischen Kronprinzen das Kleid zerreist. Der Graf scheint von diesem Vorgang überrascht zu sein.

 

Bedingung für eine erfolgreiche Werbung war die Körperhygiene. Für beide Geschlechter galt, sich vom "Geruch des Bocks" zu befreien , um das Objekt der Begierde nicht durch unerotische Düfte zu vertreiben. Ein Zitat aus dem Rosenroman macht dies deutlich:

"Und als ein gutes Mädchen, halte sie die Kammer der Venus sauber; wenn sie ordentlich und wohlerzogen ist, lässt sie da herum keinerlei Spinnweben, das sie nicht verbrennt oder rasiert, ausreißt oder auskehrt, so dass dort kein Moos zu pflücken ist."

Durch die Umschreibung wird die Frau dazu angehalten, ihren Intimbereich zu waschen. Dies wird auch durch eine Bilderfolge aus der Paduaner Bibel aus Rovigo dokumentiert.

 

 

Geschichte von Ruth und Boas. Ruth wäscht sich.

 

Dieses für mittelalterliche Verhältnisse recht freizügig anmutende Bild legt den Schluss mangelnden Schamgefühls nahe. Der Kirchenvater Hieronymus riet den Jungfrauen, die Dunkelheit abzuwarten oder die Fensterläden zu schließen, um sich zu waschen. Das Bild ist in diesem Sinne als Einblick in die Intimsphäre einer Frau zu werten, ohne eine Schamgrenze zu verletzen. Ebenfalls mit dem Akt des Reinigens war der Gang in die mittelalterliche Badestube verbunden. Obwohl diese gemeinsam genutzten Badestuben strengen Regeln unterlagen, wurden sie oft zum Ort des erotischen Erlebens. Der Aufenthalt ohne Bekleidung war untersagt. Doch wie dieses Bild beweist, verhüllte sie unter Umständen weniger als sie bloßstellte. Das durchsichtige Gewand lässt diesbezüglich keine Fragen offen. Die erotische Komponente des Badens und der Körperpflege zeigt folgendes Bild. Der Mann sitzt nackt auf einem Holzbänkchen. Seine ausgestreckten Arme lassen darauf schließen, dass die beiden leicht bekleideten Damen ihn mit Öl einreiben. Die Ölflasche verdeckt das Geschlecht des Königs, das sie andererseits durch ihre Form eindeutig assoziiert. Es ist bemerkenswert, dass dieses Bild in einer Prachtbibel überliefert ist. Badehäuser waren vor allem in großen Städten angesiedelt. In einer entspannten Atmosphäre fiel es besonders leicht, Kontakte zu knüpfen. Die Aufforderung zu einem gemeinsamen Bad kam einer Aufforderung zum gemeinsamen Liebesspiel gleich. Insofern es sich um gemischtgeschlechtliche Abbildungen handelt, erscheinen Badeszenen immer in amourösem Zusammenhang. Ob es sich bei solchen Abbildungen um Prostitution handelt, ist nicht immer klar auszumachen.

 

 

Meister des Anton von Burgund, Badestube, um 1470.

 

Bei diesem Bild steht die Reinigung nicht im Vordergrund. Das eigentliche Interesse gilt der geschlechtlichen Annäherung, was in den Gesten deutlich wird. Durch das Tragen von Hüten und Schmuck werden die dargestellten Frauen als Prostituierte gekennzeichnet. Ob die mittelalterliche Badekultur hier wirklichkeitsgetreu wiedergegeben wird, kann nicht eindeutig entschieden werden. Die Intention des Malers bestand nämlich in erster Linie darin, die Sittenlosigkeit anzuprangern.

 

 

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