Die indische Liebeskunst ist in erster Linie durch die große erotische Literatur des Kamasutra und des Anangaranga bekannt. Die Weltgeschichte der Erotik wurde durch die genannten Werke maßgeblich geprägt. Diese klassischen Liebesbücher gelten als Pioniere, was die systematische Bearbeitung der Lehren der Liebestechnik angeht.
Das Kamasutra, das älteste erhaltene indische Lehrbuch über die Liebeskunst aus dem 4. Jahrhundert, wurde von Mallanaga Vatsyayana verfasst. Kamasutra kommt aus dem Sanskrit und bedeutet "Gedanken über die Liebe". Das Kamasutra ist ein außergewöhnliches und faszinierendes Buch, das es verdient sorgfältig gelesen und studiert zu werden. Geschrieben in antikem Indisch, ist es im wesentlichen ein technischer Führer, eine wissenschaftliche Abhandlung wenn Du willst, für sexuelle Freuden und andere sinnlichen Vergnügungen. Außerdem enthält es hintergründige historische und anthropologische Erkenntnisse der Sitten und Bräuche des antiken Indien. Der moderne Leser wird häufiger überrascht sein, wie ausgesprochen unterschiedlich und offenherzig die Beispiele im Kamasutra dargestellt werden.
Fast nichts ist über den Autor Vatsyayana bekannt oder über das genaue Datum, an dem er das Buch schrieb. Hinsichtlich des Datums legte Sir Richard F. Burton - der 1883 das Kamasutra vom Sanskrit ins Englische übersetzte - das Erscheinungsdatum des Kamasutra zwischen dem ersten und sechsten Jahrhundert nach Christus fest. Viele Wissenschaftlicher glauben heute, dass das Kamasutra während oder kurz bevor der Gupta-Periode geschrieben wurde, ( Gupta : nordindische Herrscherdynastie von 320 n. Chr. bis 540 n. Chr. ) welches auch als klassisches Zeitalter Indiens bezeichnet wird.
Hinsichtlich des Autors Vatsyayana, machte Burton die folgende aufschlussreiche Bemerkung : "...Er (Vatsyayana) erklärte, dass er das Kamasutra schrieb, während er das Leben eines religiösen Studenten führte ( wahrscheinlich in der indischen Stadt Benares ) währenddessen er angehalten wurde, gänzlich über die Gottheiten nachzusinnen. Er muss in einem Alter gewesen sein, indem er in der Lage war, uns von seinen Erfahrungen und Gedanken zu berichten, denn das Kamasutra trägt den Stempel des Erfahrenen und nicht der Jugend. In der Tat lässt es sich schwer vorstellen, dass das Kamasutra von einem jungen, unerfahrenem Mann geschrieben sein soll.
Die Rollen beim Liebesakt werden in den aktiven Teil des Mannes und den passiven Teil der Frau unterteilt. Die Passivität ist dabei jedoch nicht im Sinne unbeteiligten Erleidens zu verstehen, sondern es wird eine Einheit mit dem aktiven Element hergestellt. Es gilt als Ziel des Mannes, bei der Vollziehung des Geschlechtsakts die Frau zu befriedigen. Wenn nun alle Anleitungen, die das Kamasutra bis zu diesem Punkt gibt, keinen Erfolg zeitigen, soll die Zauberei und ihre Geheimlehre Abhilfe schaffen. Es wird auf Aphrodisiaka verwiesen, die helfen sollen, die Frau zu bezaubern und die Potenz des Mannes zu steigern. Gezuckerte Milch mit Knoblauchknollen und Süßholz sind eines dieser Mittel. Zum Schluss werden Salben und andere Mixturen genannt, die dazu beitragen sollen, das männliche Glied zu vergrößern.
Auch heute noch erfreut sich das Kamasutra großer Beliebtheit, und viele Menschen - auch in der westlichen Welt - sehen darin einen Weg, um ihr Sexualleben zu bereichern. Das mehrfach betonte Ziel des Kamasutra, die beiderseitige Lustoptimierung, trägt dazu sicher einen großen Teil bei.
Das Kamasutra beschäftigt sich im wesentlichen mit den folgenden Themen. Der Coitus wird physiologisch erklärt, verschiedene Arten der Liebe werden geschildert, ebenso wie die zahlreichen Varianten der Umarmungen und Kussformen. In der sog. "Geheimlehre" werden Mittel vorgestellt, um eine Frau zu bezaubern und sexuell zu befriedigen. Der Kategorie des Liebesgenusses kommt dabei eine zentrale Funktion zu. Sie umfasst die vorbereitenden Liebesfreuden ebenso wie die Darstellung der verschiedenen Arten des Geschlechtsakts.
Das Gelingen der sexuellen Vereinigung, bzw. die Optimierung des Liebesgenusses hängt davon ab, welche Typen aufeinander treffen. Das Kamasutra unterteilt Männer (Hase, Stier, Hengst) und Frauen (Gazelle, Stute, Elefantenkuh) in jeweils drei Gruppen, wobei die Ausprägung des Geschlechts als einziges Merkmal dient. Die unterschiedlichen Kombinationen versprechen einen eher geringen oder im besten Fall einen absoluten Liebesgenuss.